Source: Feuerwehr Bocholt

Was tun, wenn das Elektroauto brennt?

Klar, die Feuerwehr rufen. Doch für die ist die Brandbekämpfung bei E-Autos durchaus eine Herausforderung. Das liegt vor allem an den Lithium-Ionen-Akkus, die trotz des Einsatzes von Löschwasser auch mal munter weiterbrennen. Ein textiles Firmen-Trio will das „brennende“ Problem nun innovativ löschen.

Oft heißt es, Deutschlands Innovationskraft habe abgenommen. Das Land fahre bei Trends wie der Elektromobilität mit angezogener Handbremse. Aber stimmt das? Laut Bloomberg nicht: Dort landete Deutschland 2020 auf Platz 1 des Innovation Index – vor Südkorea und Singapur. In Sachen Elektromobilität muss man also vielleicht nur genauer hinschauen, um die nach wie vor vitale deutsche Innovationsfähigkeit zu entdecken. Zum Beispiel nach Bocholt. In der Kleinstadt im Nordwesten Nordrhein-Westfalens hat die Ibena Textilwerke GmbH ihren Sitz. Der Spezialtextilhersteller fertigt Schutzkleidung für Feuerwehren, Rettungsdienste und die Polizei. Seit neuestem hat die Firma eine textile Innovation im Entwicklungsportfolio, die eines der drängendsten Probleme im Umgang mit brennenden Elektroautos lösen soll.

Elektroautos brennen anders

Dazu muss man zunächst wissen: Elektroautos brennen anders als Diesel und Benziner. Zwar treten Brände bei ihnen nicht, wie oft vermutet, häufiger auf als bei Fahrzeugen mit klassischem Antrieb. Doch die Art und Weise, wie E-Autos brennen, stellt die Feuerwehren vor eine Herausforderung. Das liegt vor allem an den Lithium-Ionen-Akkus. In ihnen stecken Zellen, in denen der chemische Mechanismus abläuft, der den Strom für den Antrieb erzeugt. Bei einem Brand neigen ausgerechnet diese Zellen zu einem fatalen Dominoeffekt: Erhitzt ein Feuer eine Lithium-Ionen-Zelle, kann es passieren, dass diese ihre Nachbarzelle aufheizt und diese wiederum ihre und so weiter … Der Fachmann spricht vom „Thermal Runaway“, dem thermischen Durchgehen, an dessen Ende im schlimmsten Fall der ganze Akku explodiert. Auch der ADAC, Europas größter Verkehrsclub, resümierte nach Crashtests: „Eine Beschädigung der Batterien stellt den kritischsten Fall im Unfallgeschehen [mit Elektroautos] dar.“

Zur Sicherheit ein Wasserbad

Natürlich werden bei einem Feuerwehreinsatz auch Elektro- und Hybridfahrzeuge mit Wasser oder Kühlschaum gelöscht. Das Problem dabei: Wegen des speziellen Aufbaus der Lithium-Akkus erreichen Löschschaum und Wasser womöglich nicht alle brennenden Stellen – oder eben: Zellen. „Im schlimmsten Fall entzünden sich vermeintlich gelöschte Elektrofahrzeuge nach der Bergung erneut“, sagt Ibena-Geschäftsführer Ralph Beckmann. Viele Feuerwehren stellen E-Autos deshalb auf einem speziellen Quarantäneplatz ab und halten bis zu 48 Stunden Brandwache. Oder sie gehen gleich ganz auf Nummer sicher – und versenken das E-Auto in einem Container mit Löschwasser. „Das ist dann natürlich ein Totalschaden“, so Beckmann.

Statt Wasserbad: Die innovative Schutzdecke wird rund um das beschädigte Elektroauto mit Klett- und Reißverschlüssen befestigt / Quelle: Ibena

Statt Wasserbad: Die innovative Schutzdecke wird rund um das beschädigte Elektroauto mit Klett- und Reißverschlüssen befestigt / Quelle: Ibena

Wie eine Zudecke für E-Autos

Um diesen zu vermeiden und Feuerwehren den Umgang mit brennenden Elektrofahrzeugen zu erleichtern, steckten die Textiler von Ibena, die Brandschutzberater-Firma Gelkoh (Hamm) und die PPE Factory, ein Konfektionär für Spezialtextilien aus den Niederlanden, die Köpfe zusammen. Ihr Ziel war es, eine leicht zu verstauende, trockene Lösung zur Bergung und Isolation von Hybrid- und Elektrofahrzeugen auf Basis textiler Materialien zu entwickeln. Herausgekommen ist das Bergesystem mit dem klingenden Namen LiBa®-Rescue. Ähnlich einer Decke, die man sich in kalten Winternächten über den Kopf zieht, um nicht zu frieren, wird damit das brennende Elektrofahrzeug „zugedeckt“. Laut Beckmann benötigen zwei Feuerwehrleute dafür nicht länger als drei Minuten.

Sicher zudecken: Zwei Feuerwehrleute sollen nicht länger als drei Minuten benötigen, um das verunfallte E-Auto in das das textile Bergesystem zu bugsieren / Quelle: Gelkoh

Sicher zudecken: Zwei Feuerwehrleute sollen nicht länger als drei Minuten benötigen, um das verunfallte E-Auto in das das textile Bergesystem zu bugsieren / Quelle: Gelkoh

Das Bergesystem besteht aus einem Gewebe verschiedener Nomex®-Fasern (Polyamidfasern des Herstellers Dupont). „Wir haben uns die unterschiedlichen Eigenschaften der Fasern zunutze gemacht“, erklärt Beckmann. So habe der nicht brennbare Textilverbund einen selbstlöschenden Effekt, indem er Sauerstoff verdränge und dem Feuer damit die Nahrung entziehe. Außerdem verhindere eine Schicht aus Aramidfasern, dass im Falle einer Explosion umherfliegende Batterie- oder Fahrzeugteile zu gefährlichen Geschossen werden. Im Inneren des Gewebes steckt zudem ein Filtermaterial aus Vliesstoff – es soll die ätzende Flusssäure binden, die aus Lithium-Akkus austreten kann.

Wenn Kompetenzen sich ergänzen

„Das geschlossene Bergesystem ist ein völlig neuartiger Ansatz“, sagt Beckmann über die Innovation, die außerdem zeigt: Es ist gut, wenn (textile) Kompetenzen sich ergänzen. Während Gewebehersteller Ibena das Material entwickelte und gemeinsam mit der Bocholter Feuerwehr testete, passte Konfektionär PPE Factory es an unterschiedliche E-Fahrzeugtypen an; Gelkoh übernimmt Vertrieb und Service des fertigen Produkts, das bereits im Einsatz ist. Es gebe, so Ibena-Chef Beckmann, schon etliche Anfragen von Fahrzeugherstellern, Feuerwehren und Innenministerien von EU-Staaten. „Wir arbeiten auch an weiteren Einsatzmöglichkeiten im E-Mobilitätsbereich, aber dazu kann ich noch nichts verraten“, sagt Beckmann.

Übrigens: Bocholt, die Geburtsstadt des textilen Bergesystems, unterhält seit 2003 eine Städtepartnerschaft mit der chinesischen Stadt Wuxi. Die moderne Industriemetropole im Südosten Chinas, wie Bocholt ein traditioneller Standort der Textilindustrie, wird wegen ihrer Wirtschafts- und Innovationskraft auch „Klein Shanghai“ genannt. Manchmal muss man eben nur etwas genauer hinsehen, um (textile) Innovationen rund um aktuelle Megatrends zu entdecken.

Ronny Eckert

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