i3 - Source: BMW Group

Wann kommt das Carbon-Car?

Vor vier Jahren schickte BMW mit dem Elektroauto i3 das erste Serienfahrzeug mit Carbon-Fahrgastzelle auf die Straße. Doch Faserverbundkunststoffe im Pkw sind im Materialmix immer noch die Ausnahme. Der Textilforscher Dr.-Ing. Christoph Greb erklärt, warum der superleichte Werkstoff im Automobilbau wohl kein Standard werden wird – und dennoch keine Einbahnstraße für den bayerischen Autobauer ist.

Dr. Greb, als Bereichsleiter Faserverbundwerkstoffe am Aachener RWTH-Institut für Textiltechnik (ITA) forschen Sie gemeinsam mit Automobilherstellern und -zulieferern am Auto der Zukunft. Mal ernsthaft: Wann rollt das erste Carbon-Car vom Band?

Dr.-Ing. Christoph Greb - Quelle ITA

Dr.-Ing. Christoph Greb – Quelle ITA

Es wird wohl nie ein komplettes Auto aus Carbon geben, zumindest nicht als Massenprodukt. Das Fasermaterial ist in der Herstellung sehr kostenintensiv – noch, muss man allerdings sagen. Aktuell liegen wir bei einem Carbonfaser-Kilopreis in der Größenordnung von 15 bis 20 Euro. Zum Vergleich: Das Kilo Stahl kostet einen Euro. Sagen wir es mal so: Es gibt Herausforderungen beim Werkstoff Carbon, die sind nicht wegzudiskutieren. Dennoch scheint mir die Sicht auf das Thema häufig zu schwarz-weiß.

Wie könnte die Carbon-Zukunft im Auto aussehen?

BMW hat eine gute Strategie vorgelegt, wie sich der Werkstoff sinnvoll ins Auto bringen lässt; material- und prozessseitig wurden da große Fortschritte gemacht. Es wird aber Zeit brauchen, den Entwicklungsvorsprung etablierter Werkstoffe aufzuholen. Aktuell geht der Trend in Richtung hybride Strukturen, also Carbon im Mix mit Aluminium oder Stahl. Nach wie vor sind Metalle für bestimmte Autoteile unschlagbar, für andere Komponenten hingegen ist Carbon tatsächlich besser geeignet.

Zum Beispiel?

Gemeinsam mit dem Institut für Kraftfahrzeuge der RWTH Aachen und Partnern wie Evonik, dem Kohlenstofffaser-Anbieter Toho Tenax und dem Automobilzulieferer Johnson Controls – heute Adient – haben wir eine Sitzschale entwickelt, die drei Materialien vereint: wärmeverformbare Kohlenstofffaserverbundwerkstoffe – einmal endlosfaserverstärkt, einmal auf Basis recycelter Carbonfasern – und Verbindungselemente aus Stahl. Ziel des Projekts war es unter anderem, möglichst viel Gewicht einzusparen.

Stichwort Leichtbau: BMW will in diesem Jahr 100.000 E-Autos absetzen. Kann Elektromobilität ein Treiber für den Einsatz von Carbon werden?

Elektromobilität braucht Leichtbau, ja. Aber das muss nicht zwingend über Carbon gelöst werden. In der Theorie hat Carbon zwar ein unerreichbares Leichtbaupotential, allerdings ist es derzeit schwierig und kostenintensiv, dieses in der Praxis auszuschöpfen.

Warum nicht Metalle dünner und leichter machen – und Carbon einfach weglassen?

Man darf Carbon nicht nur auf Leichtbau reduzieren. Metalle sind isotrope Werkstoffe, das bedeutet, dass sie in alle Richtungen gleiche mechanische Eigenschaften aufweisen – also auch dort, wo gar keine Lasten auftreten. Man kann Metalle an diesem Punkt zwar noch optimieren, aber mit Carbon ist ein grundsätzlich anderer Ansatz möglich.

Welcher?

Je nachdem, wie ein Carbonbauteil während der Herstellung ausgelegt wird, können bestimmte Eigenschaften erzielt werden. Das liegt daran, dass Carbon in Richtung der Fasern andere Eigenschaften hat als quer zur Faserrichtung. Durch entsprechende Faserorientierung lassen sich Carbonbauteile deshalb auf konkrete Anwendungsanforderungen hin gestalten.

Hätten Sie ein Beispiel?

Eins aus dem Premiumsegment: Im aktuellen Audi R8 sind Rückwand und Mitteltunnel aus Carbon gefertigt, weil dort anisotrope – also: richtungsabhängige – Belastungen auftreten. Ein Fasermaterial kann diese sehr viel besser aufnehmen als Metalle. Mit denen bekommt man das zwar auch hin, aber nur mit vielen Einzelteilen, also mehr Masse – nicht so gut bei einem Sportwagen. Das ist übrigens ein weiterer Vorteil von Carbon: weniger Komponenten.

Warum das?

Mit Carbon kann man integral bauen, das heißt, man kann ein großes und/oder komplexes Bauteil „aus einem Guss“ herstellen. Ein metallisches Äquivalent müsste im Gegensatz dazu per Differentialbauweise aus Einzelteilen zusammengefügt werden. Formel-1-Fans dürfte die carbontypische Integralbauweise bekannt sein: Die Fahrgastzellen der Sportwagen bestehen aus einem Teil, den sogenannten Monocoques.

Ein großes Thema ist auch die Automatisierung der Herstellungsprozesse.

Ja, unter anderem wegen der Biegeschlaffheit der Carbonfasern. Zur Erklärung: Vor der Imprägnierung mit Kunststoff sind Carbonfasertextilien biegeschlaff, also im Vergleich zu metallischen Werkstoffen viel weniger formstabil – für die Prozess-Automatisierung ist das eine enorme Herausforderung, an der Forschung und Industrie mit Hochdruck arbeiten. Generell gilt: Um Fahrzeuge mit Carbonbauteilen effizient herstellen zu können, müssen wir verstärkt Materialdaten sammeln und Verarbeitungsmethoden verbessern. Letztlich wird mit der Optimierung der Produktionstechnik auch die Kosteneffizienz der Bauteile weiter steigen.

Also sollte BMW das Sprichwort „Wenn du es eilig hast, geh langsam“ beherzigen?

Ich bin mir sicher, dass es sich für BMW auszahlen wird, als etablierter Autobauer früh auf einen in seinen Eigenschaften noch nicht voll ergründeten Werkstoff gesetzt zu haben. Und da haben wir über die Integration von Funktionen wie Selbstreparatur, Sensorik oder Licht ins Auto-Faserbauteil noch gar nicht gesprochen…

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Dass sich im Auto nicht nur Carbonfasern breit machen, zeigt dieser Beitrag auf S. 40/41

Ronny Eckert

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