Tatort Textil
Müller, Anette, Dipl.-Ing., Landeskriminalamt (LKA) Schleswig-Holstein – soweit kein ungewöhnlicher Namenseintrag. Taucht er jedoch auf der Teilnehmerliste einer internationalen Textilveranstaltung auf, stellt sich die Frage: Nach welchem roten Faden sucht die Mitarbeiterin einer deutschen Polizeibehörde bei Textilern?
Noch während der Tagung bekam Frau Müller eine Mail von uns mit Bitte um ein aufklärendes Gespräch. Die freundliche Antwort enthielt in der Signatur eine heiße Spur: „Ministerium für Inneres und Bundesangelegenheiten des Landes Schleswig-Holstein, Landeskriminalamt, Abt. 4, Sachgebiet 435, Textilspurenanalytik“. Da fragen wir besser ganz vorsichtig.
Frau Müller, was dürfen wir uns unter Textilspurenanalytik vorstellen?

Dreht Neppern, Schleppern und Bauernfängern einen Strick aus Fasern: die Textillaborantin, Textilingenieurin und LKA-Textilspuren- analytikerin Anette Müller
Im Prinzip gleicht es der Ermittlung von DNA-Spuren, ist aber die Suche nach textilen Spuren beispielsweise in Einzelfasern, Garnen, textilen Fragmenten, Kleidungsstücken, aber auch in Möbeln wie Sessel. Die Stücke werden an Tatorten – von Raub- bis Tötungsdelikten – von der Spurensicherung sichergestellt und dann zur Prüfung zu uns ins Labor geschickt. Wir untersuchen sie dann unter dem Mikroskop auf textile Kontaktspuren, also auf Hinweise nach gegenseitigem Kontakt zwischen Opfer und Tatverdächtigem.
Was genau sind textile Kontaktspuren?
Um ein Kleidungsstück eindeutig identifizieren und zuordnen zu können, müssen bestimmte Übereinstimmungsmerkmale zwischen der Bekleidung des Tatverdächtigen und der des Opfers gefunden werden. Kleinste Fasern oder Faserbruchstücke, wir sprechen in dem Fall von Fremdfasern, können schon ausreichen, um einen Kontakt nachzuweisen. Wir suchen vor allem nach textilen Veränderungen und Beschädigungen durch Personenkontakt oder durch bestimmte Tatwerkzeuge.

Baumwollgegen- überstellung: links die Vergleichsfasern, rechts die Spur – beide mikroskopischen Bilder werden gegenüberstellt, um zu prüfen, ob Vergleichsfaser und Spur übereinstimmen (Fasern hier: im Durchlichtmikroskop; Fasern im Bild oben: im Fluoreszenzlicht)
Waren Sie wegen eines Falls auf der Textiltagung?
(Lacht) Nein, keine Sorge, der Grund war ein anderer: Wir müssen in Sachen Textil natürlich permanent auf dem Laufenden bleiben. Das Material ist unglaublich wandelbar, wie die rasante Entwicklung im Bereich der technischen Textilien immer wieder zeigt. Wir wollen Trends bei Werkstoffentwicklung, Verarbeitung und Beschichtung stets im Blick haben. Auch neue Fasertypen sind für uns relevant, denn wir sollten neue Fasern erkennen können, um sie zu identifizieren. Ganz klassisch betreiben wir aber auch Kontaktpflege, etwa zu Textilforschern, die uns über Nachweisgrenzen informieren und manchmal auch mit Proben versorgen.
Für das perfekte Verbrechen ohne Spuren müsste ich also nackt sein?
Ich würde Ihnen von jedem Verbrechen abraten, ganz gleich ob bekleidet oder unbekleidet. Ernsthaft: Einiges habe ich verraten über die Arbeit der Textilspurenanalytiker, aber das war natürlich bei weitem nicht alles. Weil jeder Fall anders ist, haben wir einen unglaublich vielfältigen Input. Sie glauben gar nicht, was Menschen sich alles einfallen lassen, das finden Sie in keinem Hollywood-Thriller. So bleibt es spannend, ganz wie mit den Fasern: Die sind auf der einen Seite etwas ganz Alltägliches, denn wir alle tragen sie am Körper, aber auf der anderen Seite sind sie was Besonderes.