Stille Erkenntnis
Ein derzeit übliches Bild auf deutschen Schienen: gähnende Leere. Denn noch bis kommenden Sonntag bestreikt die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) die Deutsche Bahn. Güter- und Personenverkehr sind damit für etwa eine Woche weitgehend stillgelegt. Doch wir müssen eigentlich froh sein, dass „nur“ die Lokführer streiken – und nicht die Textilien.
„Ohne Textilien und Vliesstoffe würde wohl kaum ein Zug fahren, es sei denn, die Passagiere wollen auf blankem Metall sitzen“, sagt Eike Eberle, stellvertretender Geschäftsführer von Sioen Coated Fabrics Shanghai, einem Unternehmen, das Flächenwerkstoffe auch aus synthetischen Fasern zur Überdachung von Stadien oder für Lkw- bzw. Güterzugplanen herstellt. Sioen beliefert laut Eberle mit seinen Materialien aber auch Firmen, die Sitzbezüge und Wandverkleidungen für Züge herstellen, damit eben kein Passagier im Zuginneren auf blankem Metall sitzen bzw. in manch überfülltem Zug (trotz Sitzplatzreservierung – wie kann DAS eigentlich sein!?) an der Wand lehnen muss.

Ein hinterleuchtetes Stück Glasfaservlies vor der Nase eines Hochgeschwindigkeitszugs und der Sitzgruppe eines Zugabteils
Ganz ähnlich das finnische Unternehmen Ahlstrom, das im großen Stil – Hunderte Millionen Quadratmeter sollen es jährlich sein – Glasfaservliesstoffe produziert, mit denen unter anderem Kinos ausgestattet werden können, denn Glasfaservliese sind so gut wie nicht brennbar und absorbieren Schall vermutlich mindestens ebenso gut wie aktuell so manch streikerprobter Bahnmitarbeiter im Kundenkontakt. Doch die Firma mit Hauptsitz in Helsinki verschickt ihre Faservliese auch weltweit an Bahnausstatter: Die rüsten damit nicht nur Sitze, Fußböden und Gepäckablagen aus, sondern stellen daraus unter anderem auch die Abdeckungen für die Nasen von Hochgeschwindigkeitszügen (s. Foto) her.
So gelangen wir, während wir in der Stille am Gleis warten, zu der Erkenntnis: Auch wenn die Züge wegen streikender Lokführer in Deutschland derzeit überwiegend stillstehen – ohne Textilien würden sie wohl gar nicht erst losrollen. Und dann fährt er plötzlich ein, der Notfahrplan-Zug, in dem all jene mitfahren, die den Zug vorher und den Zug später und…nun ja, wenigstens sind die Wände textilweich…