Stahl raus, Textil rein

Kilometergroße Hochhausgiganten verdeutlichen ebenso wie die Gewinnung von Bodenschätzen aus alptraumhaften Tiefen: Die technischen Anforderungen an Beförderungsmittel, die immer enormere Strecken sicher und schnell überwinden müssen, steigen rasant. Neuerdings kommen dabei Tragseile aus Textil ins Spiel, die schwere Trossen aus Stahl ersetzen sollen.

Nach Flugzeug- und Automobilbau rückt zunehmend auch die moderne Anlagentechnologie in den Fokus der faserorientierten Grundlagen- und Industrieforschung – der Fachmann spricht hier von der Entwicklung „textiler Maschinenelemente“ als Ersatz für klassische Materialien. Für Personen- und Transportaufzüge etwa entwickeln Textilforscher aus Chemnitz derzeit hochfeste Fasertragseile, um die über 150-jährige Vormachtstellung von Stahl auszuhebeln. Ihr Argument ist die stahlfeste Leichtigkeit der textilen Seile, die bis zu sieben Mal leichter sind als jene aus metallischen Legierungen.

Hier wird mit stahlfester Leichtigkeit faserbasiert gezogen: Versuchsaufbau eines Aufzugs für Dauertests der textilen Aufzugseile (Quelle: ifk)

Hier wird mit stahlfester Leichtigkeit faserbasiert gezogen: Versuchsaufbau eines Aufzugs für Dauertests der textilen Aufzugseile (Quelle: ifk)

Tragseile aus Stahl kommen angesichts der gigantischen Höhen- und Tiefendimensionen materialbedingt an ihre Grenzen, denn mit jedem zu bewältigenden Meter nimmt die Eigenlast des Seils zu und die Nutzlast ab. Das macht es ab einer bestimmten Dimension nahezu unmöglich, überhaupt noch eine zusätzliche Last anzuhängen. Deshalb müssen künftige Seile vor allem eines sein: leicht(er) – und zwar bei gleichbleibend hoher mechanischer Belastbarkeit.

„Die Suche nach Maschinenelementen mit geringerem Eigengewicht – und damit natürlich auch geringerer Antriebsenergie – mit gleichen mechanischen Eigenschaften wie Stahl ist in vollem Gange“, sagt Prof. Markus Michael vom Institut für Fördertechnik und Kunststoffe (ifk) an der TU Chemnitz. Mit seinem Team erforscht er mit Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung als Alternative das Fasertragseil. Dieses Hightech-Textil besteht vor allem aus thermoplastischem Kunststoff (Polyethylen) und stahlharten Aramidfasern; beides wird zunächst zu Garn und anschließend zu Litzen verdreht, um daraus das hochfeste Seil zu flechten.

Hohes Industriepotenzial

Laut Prof. Michael werden derzeit Langzeittests durchgeführt – und die zeigen schon jetzt: Trotz der textilbasierten Leichtigkeit kann das Verbundmaterial mit den mechanischen Eigenschaften und der Festigkeit von Stahl mithalten. Ein weiterer Pluspunkt sei, dass sich zusätzlich zur Lastenaufnahme spezielle Funktionen in das Fasertragseil integrieren ließen, etwa Sensoren zur Überlastwarnung oder zur Messung der Umgebungsbedingungen wie Feuchtigkeit oder Temperatur bzw. zum Verschleißzustand des verwendeten Materials. Auch seien der Ausrüstungs- und Wartungsaufwand bei textilen Seilen gegenüber Stahl weitaus geringer, was Zeit im Aufbau und bares Geld bei der Unterhaltung spare.

Entsprechend spürbar sei schon jetzt das Interesse aus der Industrie, und das nicht nur vonseiten der Aufzugsfirmen: Auch Winden für Hubschrauber, Baugeräte, Windkraftanlagen und in Miniaturform selbst Displays in Fahrzeugen könnten bald im großen Stil mit Faserseilen ausgestattet werden. Erklärtes Ziel der Forscher ist es – getreu dem Motto „Der Weg (des Seils) ist das Ziel“ –, das Faserseil generell in möglichst vielen technischen Anwendungen zum Standard werden zu lassen.

Auf der Techtextil können Interessierte am Gemeinschaftsstand der TU Chemnitz an einem eigens aufgebauten Prüfstand die sogenannte Faser-Faser-Reibung mit verschiedenen Materialien unter die Lupe nehmen, die den Verschleiß simulieren soll. „Seilpapst“ Prof. Michael wird ebenfalls dort sein und alle Seilfragen gerne beantworten.

Bild oben:

Ziehen effizient wie Stahlseile, sind aber um ein Vielfaches leichter: Faserseile in einem Versuchsaufzug (Quelle: ifk)

 

 

Ronny Eckert

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