Schlitten raus, es ist Sommer!
„Pack die Badehose ein, nimm dein kleines Schwesterlein und dann nischt wie raus nach Wannsee“, singt die Schlagersängerin Conny Froboess in ihrem Sommerhit „Pack die Badehose“ seit 1951. Sechs Jahrzehnte später könnten dank einer Textil-Innovation aus Sachsen für den Sommerspaß neben der Badehose auch Skier, Snowboards und Schlitten in der (großen) Badetasche landen. Wie das?
2013 haben am Rande des Erzgebirges Textil-Ingenieure in Zusammenarbeit mit dem Institut für Fördertechnik und Kunststoffe (ifk) der TU Chemnitz nach langjähriger Forschung eine neuartige Skipiste auf Basis von Textilien fertiggestellt, die Sommer wie Winter genutzt werden kann. Deren Prinzip „Wintersport ohne Schnee“ (oder: „Frau Holle schüttelt im Sommer keine Betten? Wir wollen trotzdem Winterspaß!“) ist bekannt – Kunststoffpisten und Skihallen mit Kunstschnee ermöglichen schon länger, auch im Sommer auf den Brettern zu stehen. Kunstschnee aber ruft wegen des nicht selten enormen Wasser- und Energieverbrauchs (just for fun) Kritiker auf den Plan. Und so manche Kunststoffpiste verursacht zudem bei Stürzen bisweilen unschöne Verletzungen, weil auf ihrer nicht optimal strukturierten Oberfläche das Bremsen zu ungewollten „Kunststücken“ führen kann, die – Schnellkurs Physik: Reibung erzeugt Wärme – schmerzhaft brennende Folgen haben können.
Jens Reindl, seit 2007 im Bereich Innovationsmanagement in der Textilwirtschaft tätig und geistiger Vater das Faserschnees, kam die Idee zur textilen Piste denn auch beim Besuch einer Skisprunganlage, bei der Kunststoffbahnen in der Landezone aufgebracht waren – schmerzhafte Stürze inklusive. Reindl kontaktierte seinen langjährigen Freund Arndt Schumann, der sich als Wissenschaftler am ifk vor allem mit der Reibungslehre (Tribologie) befasste, bei der Verschleiß und Reibung aufeinander einwirkender Oberflächen untersucht werden. Gemeinsam definierten sie das Ziel: Eine Skipiste auf Basis von Textilien mit gutem Gleitverhalten und einer Struktur, auf der sowohl Kurvenfahrten („Carven“) mit entsprechender Geschwindigkeit als auch besseres Bremsen möglich sein sollten.
Die passionierten Wintersportler fanden – „trial and error“ lassen grüßen – im Rahmen eines vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie geförderten Projekts die optimale Materialkombination verschiedener Kunststofffasern, aus denen sie letztlich Gewebe herstellten; sie bilden die Grundlage der 2 x 10 Meter großen Textilschneebahnen. „Wir wollten echten Schnee möglichst realistisch simulieren und erlebbar machen“, sagt Reindl. Dazu sei die Oberfläche des Faserschnees mit einer speziellen Berg- und Talstruktur versehen, die dem Sommerwintersportler ein authentisches Abfahrtsgefühl vermitteln und das Bremsen erleichtern soll. Zudem sei der Gleitreibwiderstand so minimal, dass die Verletzungsgefahr bei Stürzen geringer sein soll als bei herkömmlichen Kunststoffpisten.
Reindl und Schumann schnallten kurzerhand Unternehmer-Skier an, ließen ihre Textilpiste patentieren und gründeten 2013 eine Firma mit dem sinnfälligen Namen „Mr. Snow“, unter dem sie die faserbasierten Pisten herstellen und vertreiben. Erste Aufträge kamen etwa vom amerikanischen Boardhersteller Burton Snowboards, der in seinen Geschäften die Textilpisten ausrollt, um Kindern ein Gefühl fürs Snowboarden zu vermitteln. Auch zahlreiche Events und Sportveranstaltungen haben die „Textilschneekönige“ aus Chemnitz schon bestückt, darunter ein Nacktrodeln in Dresden. Ob es im Anschluss daran auch eine (Splitter-Faser-)Schneeballschlacht gegeben hat?
Bild oben: Auf Skiern und Snowboards kann jeder – „Textilschnee-Bobbycaring“ (s. hinten) hingegen ist nur was für Profis. Copyright für beide Bilder: Mr. Snow
Ronny Eckert