Leitmesse Techtextil zeigt faserbasierte Innovationen für die Gesundheitswirtschaft
Nicht nur Luftfahrt und Automobilindustrie setzten auf textile Hochleistungswerkstoffe mit den Eigenschaften leicht, funktional oder intelligent. Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung weist ein ganz besonderes Aktionsfeld der Textilforschung eine wesentliche Rolle zu: die Erhaltung der Mobilität kranker und alter Menschen. Ganz oben auf der Liste des textilen Forschungsbedarfs steht deshalb die Entwicklung angepasster Bekleidung und Bandagen mit einstellbarem Bewegungswiderstand und vordefinierten Winkeln bzw. von aktorischen Materialien für künstliche Muskeln bzw. zusätzliche Stützstrukturen, sogenannte Exoskelette.
Schon heute sorgen Mediziner, Biologen und Biotechnologen an einigen der 16 Textilforschungsinstitute wie nirgendwo in Europa mit Hightech-Textilien für Innovationen in Gesundheit und Medizin. Zur Fortschrittsbilanz gehören faserbasierte Implantate, Orthesen und Prothesen bzw. Rehatechniken auf textiler Grundlage. Vor 35 Jahren starteten die weltweit ersten textilmedizinischen Forschungen am Institut für Textil- und Verfahrenstechnik (ITV) in Denkendorf bei Stuttgart; jetzt entwickelt dort ein Team unter Leitung von Prof. Dr. Michael Doser sogenannte Nervenleitschienen. Die Neuheit zum beschleunigten Nervenwachstum ist für Unfallopfer mit gequetschten oder durch Schnittverletzungen beschädigten Gliedmaßen gedacht. Die Hülse aus hochporösen, resorbierbaren Spinnfaservliesstoffen, die zuvor am Institut zur Generation von Knorpelgewebe auf den Weg gebracht wurde, nimmt die durchtrennten Nervenfaser-Bündel auf. Das Material hat das Potenzial, durchtrennte Nerven kanalisiert und damit wesentlich schneller wachsen zu lassen.
Auf die Wiederherstellung der Mobilität, die durch Rückenbeschwerden ausgelöst wird, zielt ein
Ergebnis der europäischen Forschung: ein schmiegsames BlueTouch Pad gegen Schmerzen und Verspannungen in der Schulter- und Nackenregion. Bei dem Projekt mit dem in Greiz ansässigen Textilforschungsinstitut Thüringen-Vogtland als Partner wird blaues LED-Licht, das auf ein leitfähiges Grundgewebe aufgebracht wird, eingesetzt. Die Lichtpunkte in dem tragbaren Behandlungsgerät von Philips haben eine schmerzreduzierende Wirkung – eine echte Alternative zu entsprechenden Medikamenten.
Zur Mobilität im Sinne von Lebenserhaltung tragen Wissenschaftler der Hohenstein Institute mit den jüngst entwickelten innovativen Kühlpads zur Reduzierung der Körpertemperatur für Patienten mit Herzstillstand bei. Eingebettet in eine neuartige Hypothermie-Notfallweste, sollen sie neurologische Schäden nach einer erfolgreichen Wiederbelebung verhindern helfen. In der Zeit bis zum Eintreffen des Notarztes können bereits Teile des Gehirns durch mangelnde Durchblutung und Versorgung mit Sauerstoff nachhaltig geschädigt werden. Nicht selten werden die Betroffenen dadurch zum Pflegefall. Wird die Körpertemperatur jedoch auf 32 bis 34 Grad Celsius abgekühlt, kann dadurch das Gehirn vor irreparablen Schäden besser geschützt werden.
Aus den vom Forschungskuratorium Textil e. V. (FKT) betreuten Textilinstituten mit über 1.000 Forschern kommen nach Angaben von Geschäftsführer Dr. Klaus Jansen jährlich rund ein Dutzend medizintextile Neuerungen – zumeist finanziell gefördert durch die beiden Bundesministerien BMWi und BMBF. Die vom FKT ausgearbeiteten Leitlinien „Perspektiven 2025“ fordern von der Textilforschung vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung für das Themenfeld Gesundheit enorme Anstrengungen. Perspektivisch geht es u. a. um die Entwicklung angepasster Bekleidung mit Blick auf Fallschutz, Mobilitätsunterstützung und Medikamentenversorgung. Ferner könnten Sensorteppiche in Krankenhäusern, Alters- und Pflegeheimen zur Patientenüberwachung (Herausfallen aus dem Bett, Umherirren im Zimmer) einen Beitrag leisten.
Auf der Techtextil 2013 vom 11. bis 13. Juni decken zwölf Anwendungsbereiche das gesamte Produktspektrum technischer Textilien ab; Medtech ist aus Expertensicht das mit am schnellsten wachsende Bedarfsfeld.
Beitragsbild: Quelle – ITA/RWTH Zellbesiedelter Stent aus textilem Trägermaterial