Leichtbautextilien im Fokus

Heute geht es um das Thema Leichtbaukonstruktionen für Fassadenelemente und Flächentragwerke. Fasern als Verstärkungsmaterialien in der Industrie einzusetzen, ist schon seit langem vor allem im Fahrzeugbau oder Sportbereich üblich. Dass sich vor allem Kohlenstofffasern auch für die Herstellung besonders filigraner Betonstrukturen im Baugewerbe eignen, ist relativ neu und inspiriert nun Architekten und Hersteller gleichermaßen zu neuen Entwürfen.

leichtbau_3

Quelle – SGL Carbon

Aus diesem Grund veranstaltete die SGL Carbon Group im Frühjahr letzten Jahres unter dem Namen „Carbocrete“ einen offenen Innovationsprozess, um nach neuen Anwendungsideen und Einsatzszenarien für carbonfaserverstärkten Beton zu suchen. Das weitestgehend neue Verbundmaterial besticht durch einige Vorteile. Es ist so fest wie Stahlbeton, aber um bis zu 75 Prozent leichter und langlebiger. Im Vergleich zu Bauteilen aus Stahlbeton können solche aus Carbocrete nicht rosten, was sie für den Kontakt mit Wasser besonders geeignet macht. Sieger des Wettbewerbs wurde das Leipziger Designerteam Stefan Paulisch, Uta Kleffling und Pamela Voigt mit ihren „Carbocrete Balconies“, bepflanzbaren und organisch geschwungenen Balkonen, um dem Gesteinswüstencharakter unserer Innenstädte entgegenzuwirken. Der Wettbewerb zeigt auch, dass der Leichtbauwerkstoff erst am Anfang der Entwicklung steht.

leichtbau4

Quelle – SGL Carbon

In Forschungsprojekten an der RWTH Aachen, der TU Dresden oder dem Sächsisches Textilforschungsinstitut Chemnitzwerden derzeit die Möglichkeiten zur organischen Gestaltung unter Einsatz von 3D-Textilbewehrung mit dem notwendigen Know-How und neuen Werkstoffentwicklungen unterfüttert. So hat das STFI im Rahmen eines Verbundprojekts mit der TU Chemnitz, der FiberTech Group, der Hentschke Bau GmbH sowie den Firmen Panadur GmbH und Metallbau Hausmann GmbH einen neuen Hybridwerkstoff entwickelt, der die Vorteile von Textilbeton und glasfaserverstärktem Kunststoff hinsichtlich Festigkeit, Dauerhaftigkeit und Gestaltungsfreiheit vereint. Für die Bewehrung kamen 3D-Gewirke aus gitterförmig angeordneten Glasfilamentgarnen zum Einsatz. Zur Veranschaulichung der Ergebnisse wurde ein Referenzgebäude in Form eines Pavillons aus GFK-Textilbeton-Fertigteilen umgesetzt. Die Bewehrung des Textilbetons bestand dabei aus einer Lage biaxialer Kettengewirke aus alkaliresistenten Glasfasern (2400 tex). Sie wurde aus vier Lagen Glasgewebe aufgebaut, so dass Bauteile mit einer Dicke von 10 mm und einer Zugfestigkeit von bis zu 165 MPa entstanden. Zur Vermeidung von Rissen und der Entkopplung der beiden Materialien in Bezug auf deren mechanischen, chemischen und thermischen Eigenschaften wurde eine Zwischenschicht eingesetzt, welche aus Epoxidharz und Polyester-Wabenvlies bestand.

leichtbau6

Quelle – Hering
RWTH Aachen Hoersaele

Eine ähnliche Entwicklung hat der Baustoffhersteller HERING in Kooperation mit der RWTH Aachen und der TU Dresden umgesetzt. Dabei entstand das Fassadensystem betoShell aus nur 30 mm dicken Fassadenplatten, die mit einer 3D-Textbewehrung ausgestattet wurden und Winddrücken von bis zu 1,80 kN/m² standhält. Es kam das Abstandstextil SITgrid von V. Fraas Solutions mit enorm hoher Tragfähigkeit und besonders geringem Eigengewicht zum Einsatz. Dieses wurde speziell auf die Bedürfnisse des Fassadenelements abgestimmt und besteht aus zwei Glasfaser-Lagen im Abstand von 10 mm, welche durch Polfäden drucksteif miteinander verbunden sind. Eine Fertigungsstraße erlaubt die Herstellung der Betonfassadenplatten in großen Abmessungen von bis zu 6000 x 3000 mm. Das geringe Gewicht hat Vorteile bei Transport und Montage. Im Vergleich zu vergleichbaren stahlbewehrten Fassadenelementen werden bei betoShell bis zu 80 Prozent der für die Herstellung benötigten Ressourcen eingespart. Betonfassaden können mit verschiedenfarbigen Gesteinskörnungen ausgestattet sowie gestrahlt, geschliffen oder gesäuert werden. Die im Vergleich zu anderen Fassadensystemen günstiger ausfallende Ökobilanzierung konnte vom Institut LCEE aus Darmstadt nachgewiesen werden.
EMBED Word.Picture.8
Insbesondere beim Bau großer Flächentragwerke für Fußballstadien oder Flughäfen spielen schließlich Leichtbau-Konstruktionen unter Verwendung von Membrantextilien ihre Vorteile aus. Die Verseidag Indutex GmbH aus Krefeld hat sich in den letzten Jahren mit der Umsetzung einiger spektakulärer Bauwerke zu einem der Marktführer in diesem Bereich entwickelt. Das Unternehmen fertigt hochwertige Gewebe aus Glas- oder Polyesterfasern und beschichtet diese zum Schutz vor Witterungseinflüssen mit PTFE bzw. PVC. Die Gewebe werden zudem mit einer Low-E Beschichtung ausgestattet, die das Durchdringen von Wärme in den Innenraum verhindert und Sonnenstrahlung reflektiert. Auf diese Weise kommt es zu einem angenehmen Raumklima bei reduzierten Energiekosten für die Klimatisierung. Beim Bau des Green Point Fußballstadions in Kapstadt wurden auch die optischen Möglichkeiten der Textilkonstruktion durch eine besondere Beschichtung des naturweißen Glasfasergewebes ausgenutzt. Diese bewirkt, dass tagsüber Sonnenstrahlung an der Textilhaut reflektiert, so dass diese blickdicht wirkt. In der Nacht kehrt sich der Effekt aufgrund der Durchdringbarkeit für Lichtstrahlung von Innen um und die Fassade erhält eine schwebende Transparenz. „Außerdem bricht das Gewebe zwar Regen und Wind, lässt aber gleichzeitig Luft durch, so dass es im Sommer keine stehende Hitze gibt“, erklärt Dr. Peter Siemens, Leiter des Bereichs Entwicklung und Innovation der Verseidag Indutex GmbH. Das Gewebe ist seit kurzem auch in einer digital bedruckbaren Version erhältlich und für Flächentragwerke in Dach und Fassade geeignet.

leichtbau_2

Quelle – Hering
Chirurgische-Klinik-Ulm

Carbon-, Glas- oder Aramidfasern als Verstärkungsmaterialien in Kombination mit Beton haben also ein großes Zukunftspotenzial für das Baugewerbe. Wie sieht es aber mit dem textilen Leichtbau für Autos, Flugzeuge und Windkrafträder aus? Dazu in den nächsten Tagen und Wochen mehr.

Beitragsbild: Verseidag

Über Nico Manger

Mehr zu den Autoren

Zeige alle Beiträge von Nico Manger

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

*