Leichtbau: Chancen und Risiken
Leider wächst das Wissen über Verstärkungsfasern und -strukturen langsamer als die Vielfalt der marktreifen Technologien zunimmt. Das sieht auch Professor Dr.-Ing. Lothar Kroll, Direktor des Institutes für Strukturleichtbau an der TU Chemnitz, so. Er führt das mit auf die massiven Forschungsaufwendungen der vergangenen Jahre zurück, die auch notwendig waren, um Leichtbau-Großraumjets wie den Airbus A380 und die Boeing 787 ‚Dreamliner‘ in die Luft zu bekommen. Professor Kroll: „Durch die breit angelegte Forschung wurden viele neue Wege für die Herstellung von Composite-Bauteilen erschlossen, die jetzt für die Überführung in die Praxis bereit stehen. Der Automobilbau profitiert dabei von den Erfahrungen aus luftfahrttechnischen Anwendungen und kann oft sogar einen wertanalytischen Ansatz verfolgen – weg von teuersten Teilen, hin zu kostenoptimierten Strukturen in Großserie, die dennoch hervorragende Festigkeiten und eine sehr gute Ökobilanz bieten.“
Wer beim Leichtbau neue Wege beschreiten will, muss für die Lösung seiner Aufgaben also selbst den optimalen Weg suchen, was alles andere als leicht ist. Immerhin lassen die vie len Stellschrauben eine Vielzahl an Fasern auf Erdöl- oder Pflanzenbasis und noch weitaus mehr Matrixwerkstoffe aus der Synthese oder ebenfalls aus nachwachsenden Ressourcen zu.

Prof. Dr. Lothar Kroll leitet das Cetex Institut für Textil- und Verarbeitungsmaschinen gemeinnützige GmbH und ist Koordinator des Bundesexzellenzclusters ‚MERGE – Technologiefusion für multifunktionale Leichtbaustrukturen‘. Bild: TU Chemnitz / Kristin Schmidt
Ein Beispiel für diese These liefert die Tatsache, dass sich Carbonfasern sowohl aus erdölabhängigen Vorprodukten als auch per Pyrolyse aus Naturfasern hergestellt werden können. Außerdem stehen neben isotropen Kohlenstofffasern auch anisotrope Fasern zur Verfügung, die ihre Eigenschaften je nach Belastungsrichtung ändern. Dies ermöglicht es, Funktionen in Bauteile hinein zu konstruieren, wie zum Beispiel belastungsabhängige Formänderungen. Dieser technologische Ansatz kann bei der Entwicklung von Smart Blades an Bedeutung gewinnen, also bei ‚intelligenten‘ Rotorblättern für Windenergieanlagen (WEA), die ihre Form strömungsoptimierend verändern, je stärker der Wind bläst, desto mehr.
Eine weitere Herausforderung auf dem Weg zu neuen Leichtbaustrukturen stellen die vielfältigen, kaum noch zu überblickenden Verarbeitungstechniken dar, die natürlich unter dem Gesichtspunkt der notwendigen Investitionen ebenfalls bereits bei der ‚Grundsteinlegung‘ eines neuen Composite-Bauteils betrachten werden müssen. In Bezug auf die Großserienfertigung ist es dem Kunststoffmaschinenbau gelungen, die Zykluszeiten von faserverstärkten Teilen aus duroplastischen Reaktionswerkstoffen auf wenige Minuten zu senken. Parallel dazu stellen sich die Hersteller von Kunststoffmaschinen darauf ein, dass künftig mit steigender Tendenz thermoplastische Composites zum Einsatz kommen, die im Thermoformverfahren oder auf Spritzgießmaschinen produziert werden können. Da jeder Produktionsprozess eigene Anforderungen an die Verstärkungsfasern, die Faserlängen bzw. die aus den Rovings hergestellten Gelege, Gewebe, Gestricke, Gesticke oder Geflechte stellt, müssen die entsprechenden Knowhow-Träger frühzeitig konsultiert werden.
Grundlegendes Neuland betritt dagegen das Unternehmen Teijin Aramid mit Carbon-Nanotube-Fasern, die mit thermischen und elektrischen Leitfähigkeiten aufwarten, die denen von Metallen ähneln und zugleich die Flexibilität, Festigkeit und Handhabbarkeit von Textilfasern besitzen. Mit dieser neuartigen Kombination von Eigenschaften sei es möglich, in der Luft-und Raumfahrt, im Automobilbau, in der Medizintechnik sowie bei der Herstellung von Funktionskleidung völlig neue Funktionen zu gestalten.
Technische Fasern und Textilien können in Zukunft also sicher mehr, als Matrixkunststoffe zu verstärken.
Beitragsbild: Quelle – TU Chemnitz / Hendrik Schmidt