Jung, weiblich, textilforschend

Ihre Freunde studieren irgendwas mit Medien, Lehramt oder Modedesign; wenn sie ihnen erzählt, für was sie immatrikuliert ist, rollen sie mit den Augen oder zucken mit den Schultern – Karoline Günther „macht in Textil“, genauer: in Textilforschung. Die 25-Jährige hat bereits einen Bachelor of Science für „Textile Technologien“ in der Tasche, befindet sich im Masterstudium und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Forschungsinstitut für Textil und Bekleidung der Hochschule Niederrhein (FTB) in Mönchengladbach. Wir waren neugierig auf die junge Frau mit den konkreten textilen Karriereplänen, der ein Bekannter mal mitleidig lächelnd kundtat, Textil sei „ohne Zukunft“. Also haben wir uns nicht lange bitten lassen, als uns Karoline am Telefon einlud: „Kommt doch einfach vorbei und macht euch selbst ein Bild.“

Hallo Karoline, wir dürfen doch Du sagen?

Sicher.

Du sagtest am Telefon, dein Schwerpunkt läge „im Spinnen“. Kannst du das bitte kurz erklären?

(Lacht) Ja, eigentlich müsste es „Spinnerei“ heißen. Das ist eine Herstellungsmethode für Garne, die mich schon im Bachelor-Studium interessiert hat. Ich finde den Prozess der Garnherstellung, also wie aus vielen Fasern ein Ganzes entsteht, total faszinierend.

Warum? Faser und Garn – das klingt doch eher ein bisschen langweilig.

Ganz und gar nicht. Garn ist ja nicht gleich Garn. Es gibt verschiedene Ausgangsmaterialien, Herstellungsprozesse, Anforderungen an Material und Maschine und so weiter. Der Prozess der Herstellung ist einerseits total einleuchtend, andererseits aber auch unglaublich komplex, weil es je nach Ausgangsmischung unendlich viele verschiedene Garne geben kann.

Also kann man sagen, dass du an Fasern forschst?

Ja, aber das greift ein bisschen kurz. Schon das Textilstudium ist ja extrem vielseitig. Wir haben neben allem, was mit Textil zu tun hat, also von der Fasergewinnung etwa aus der Baumwollpflanze über Textil-Herstellungsmethoden bis hin zur aktuellen Mode, auch Elemente aus Maschinenbau, Chemie, Mathe, Physik und Wirtschaftswissenschaften. Diese Vielfalt setzt sich bei der projektbezogenen und industrienahen Textilforschung fort. Zwar habe ich immer eine konkrete Anforderung, ein konkretes Ziel. Derzeit etwa sitze ich in einem Projekt, bei dem wir in Zusammenarbeit mit dem Thüringischen Institut für Textil- und Kunststoff-Forschung Garne als Alternative zur Röntgenstrahlabschirmung entwickeln, die zu Bekleidung verarbeitet eines Tages Bleiwesten in Krankenhäusern ablösen könnten. Die Forschung im Ganzen aber ist unglaublich abwechslungsreich, ein ewiger Lernprozess – extrem spannend und schon fast abenteuerlich.

Ehrlich?

Ja. Warum die Frage?

Naja, wie reagiert denn dein Umfeld, deine Familie, Freunde und Bekannte, wenn du so begeistert über Textilforschung redest?

Arbeitsalltag zwischen Vorlesungssaal und Forschungslabor – hier bereitet die Forscherin Proben aus Mehrlagengewebe zur Begutachtung im Rasterelektronenmikroskop vor

Arbeitsalltag zwischen Vorlesungssaal und Forschungslabor – hier bereitet die Forscherin Proben aus Mehrlagengewebe zur Begutachtung im Rasterelektronenmikroskop vor

(Zieht die Augenbrauen hoch) Ach, darauf wollt ihr hinaus. Klar, das war anfangs natürlich ein Gesprächs-Killer. Ich bin zu Beginn meines Studiums oft gefragt worden: „Oh, Mode also? Kannst du mir ein Kleid nähen?“ Und ein Bekannter von mir, der Maschinenbau studiert, ist immer ganz überrascht, dass ich ihm folgen kann, obwohl ich ja „nur“ Textil studiere. Es gibt da in der breiten Öffentlichkeit immer noch ein Wahrnehmungs-Missverhältnis bezüglich der Thematik Textil und speziell der Textilforschung; da bildet mein Umfeld keine Ausnahme. Die meisten denken eben immer noch an Jacke, Hose und Unterwäsche, wissen aber gar nicht, dass kaum ein Flugzeug fliegen und fast kein Auto fahren würde ohne technische Textilien – von den Bereichen Medizin, Raumfahrt und Bau ganz zu schweigen. Nicht umsonst gehen viele meiner Kommilitonen in die Automobilindustrie. Die arbeiten dort in den Forschungsabteilungen der Big Player an den Autos von morgen – und nähen keine Kleider.

Also könntest du kein Loch in unseren Jacken flicken?

Klar, aber ich will nicht.

Wie bist du zur Textilforschung gekommen?

Wir mussten während unseres Studiums Praxisphasen absolvieren. Ich war drei Monate bei einem Unternehmen, das Spinnereimaschinen herstellt, und habe dort in der Forschungsabteilung gearbeitet – Maschinen getestet und optimiert, mit verschiedenen Einstellungen experimentiert. Dabei hat es dann gefunkt und mir war klar: Das will ich machen. Ich habe bei der Firma auch meine Bachelor-Arbeit geschrieben.

Über welches Thema?

Die Arbeit ist unter Verschluss, weil Know-how daran hängt. Aber den Titel kann ich euch verraten: „Hochgeschwindigkeitsspinnen bis 180.000 Umdrehungen pro Minute beim Rotorspinnen“.

Damit machst du wohl nur auf „Textil-Partys“ Eindruck?

Nichts gegen die Textil-Partys hier an der Hochschule, die sind klasse. Vor allem die Motto-Partys sind in Mönchengladbach stadtbekannt. Ist aber eigentlich auch klar – wenn es um Kleidung und den kreativen Umgang damit geht, sind die Textiler natürlich weit vorne. Und an solchen Abenden rede ich ganz sicher nicht über meine Bachelor-Arbeit.

Gibt es eigentlich den typischen Textiler an der Hochschule?

Nein, das ist total heterogen – verschiedene Charaktere, Altersklassen, Nationalitäten, Quereinsteiger, ein kunterbunter Haufen. (Lacht) Damit spiegeln wir wohl ganz gut die Vielfältigkeit der textilen Welt wider.

Was sagst du denen, die meinen, Textil sei in Deutschland chancenlos?

Augen auf! Dann sieht man auch ganz schnell, wie innovativ die Branche aufgestellt ist. Deutschland ist im Bereich der technischen Textilien und der Textilforschung weltweit führend – das wird seine Gründe haben. Meine Kommilitonen und ich stehen auf jeden Fall in den Startlöchern, das textile Potential weiter voranzutreiben.

Du willst also weiter innovativ spinnen?

Absolut!

Foto oben: In guten Händen – Textilforscherin Karoline Günther überprüft ein fertiges Garn an einer Rotorspinnmaschine auf Gleichmäßigkeit

Ronny Eckert

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