Fasern für die Medizin: Nische mit Wachstum
Man studiere die bionischen Prinzipien eines sich verzweigenden Großblutgefäßes, nehme eine Flachstrickmaschine und versuche den Y-förmigen Strang mit einem textilen Flächenbildungsprozess nach den Impulsen der Natur nachzuempfinden… Mit dieser Aufgabenstellung im Rahmen einer Diplomarbeit begannen vor fast 45 Jahren in Denkendorf bei Stuttgart die medizintextilen Forschungen in Deutschland.
Zwei Forscher- und Unternehmergenerationen später gehören Medizintextilien in Form von Implantaten, faserbasiertem Knorpel oder Hohlfasern für die gezielte Wirkstoffabgabe – um nur einige Einsatzmöglichkeiten zu nennen – zu jenen techtextilen Innovationen auf dem Weg in die medizinische Praxis. Mit der Zunahme von Forschungslösungen auf diesem Gebiet wachsen international auch die unternehmerischen Angebote, was auf der Techtextil wiederum im Anwendungsfeld Medtech zum Ausdruck kommt.
2017, so Messe-Leiter Michael Jänecke, wird in diesem zukunftsbestimmenden Segment ein Ausstellerhoch erwartet. Stark im Kommen in diesem Nischenmarkt sind Kompressionstextilien, intelligente Wundüberwachungssysteme, sensorische Textilien und gegen die grassierenden Krankenhauskeime schützenden antibakterielle Gewebe. Medizintextilien wie auf T-Shirts zur Erfassung von Vitalparametern sind auch international zweifelsfrei ein Umsatz- und Wachstumsmarkt, allerdings nicht im Volumen- sondern mit Hightech-Konfigurationen eher wohl in Nischenbereichen. In Sachsen, um ein Beispiel zu nennen, setzt die Textilwirtschaft zunehmend auf Medizin- und Gesundheitstextilien in Form von Socken mit Anti-Zecken-Funktionalität, Reizstrom-Bodys gegen Rückenschmerzen oder antibakterieller Klinikwäsche.

Wundverband mit integrierten textilbasierten Sensoren / Quelle: ITM/TU Dresden
Weil zum Beispiel textile Implantate auf kostenintensive Weise klinisch getestet, zugelassen oder zertifiziert werden müssen, ist die Transfergeschwindigkeit von der Idee bis zum einsatzfähigen Massenprodukt eher mit dem Tempo einer Schnecke zu vergleichen. Dennoch wächst der Bereich Gesundheitstextilien stetig, wie der FuE-Leiter der Lohmann & Rauscher GmbH & CO. KG, Dr. Christian Rohrer, es neulich bei einer Fachveranstaltung von bayern-innovativ mit Zahlen unterstrich. „Auch wenn die Rahmenbedingungen für Innovationen im Medizinproduktemarkt nicht besser werden, so bleibt er ein stabiler und attraktiver Wachstumsmarkt.“ Weltweit, so der Experte, werde ein jährliches Wachstum bis vier Prozent, für Europa bis drei Prozent und China bis 13 Prozent prognostiziert.
Rohner sieht in seinem Bereich der Wundversorgung u. a. mit neuartigen Biomaterialien sowie neuen Lösungen für antimikrobielle Eigenschaften Zukunftschancen. Auch die Integration von sensorischen Parametern und Biomarkern für die Wundüberwachung liege im Trend. Dem entspricht voll und ganz die folgende Entwicklung, die Textilforscher aus Dresden und Greiz gerade auf dem Plan haben: Sie wollen mit miniaturisierten, textilbasierten Sensoren neue Wege beim kontinuierlichen Monitoring chronischer Wunden gehen. Ihr Ansatz soll die Aufzeichnung komplexer, physiologisch und chemisch relevanter Faktoren ermöglichen.