Eine weibliche Stimme für die Baumwolle
Seit 148 Jahren wacht die Bremer Baumwollbörse über die Belange der Baumwolle. Mit Stephanie Silber, Geschäftsführerin des Baumwollhändlers Otto Stadtlander, steht nun zum ersten Mal eine Frau an der Spitze des textilen Traditionshauses.
Im Jahr 1872 als „Komité für den Baumwollhandel“ gegründet, lag die Hauptaufgabe der Bremer Baumwollbörse über viele Jahrzehnte vor allem in der Qualitätskontrolle importierter Baumwolle und der Einhaltung der Handelsregeln. Wer bei „Baumwollbörse“ übrigens an heftig gestikulierende Händler denkt, die sich Zahlen und Termine zurufen, liegt nicht falsch: Tatsächlich wurden erstmals 1914 und – mit Unterbrechungen – noch bis 1971 im Gebäude der Baumwollbörse Warentermingeschäfte für Baumwolllieferungen gehandelt.

Textiles Traditionshaus: Im historischen Gebäude der Baumwollbörse am Bremer Marktplatz laufen seit über 100 Jahren die globalen Baumwollfäden zusammen / Quelle: Bremer Baumwollbörse
Heute geht es dort ruhiger zu. Von ihrem Sitz am Bremer Marktplatz aus kümmert sich die Baumwollbörse als Interessenverband um die Belange ihrer weltweit 140 Mitglieder, darunter Händler, Banken, Reeder, Spediteure, Spinnereien und Versicherer. Für sie fungiert sie als Schiedsgerichtsstelle, die bei Streitigkeiten in Handelsvertragsfragen oder bei Qualitätsmängeln klärt. Außerdem hütet sie ein umfangreiches Regelwerk von Handelsregeln und sorgt für die Einhaltung von Qualitätsstandards bei Baumwolle. So lassen Händler und Verarbeiter Baumwollfasern in Bremen auf Eigenschaften wie Reißkraft, Farbe oder Feinheit prüfen.
Corona trifft auch Baumwolle hart
Weltweit wird in über 70 Ländern Baumwolle angebaut, allen voran in den USA, Indien und China; in Europa sind Spanien und Griechenland die „Big Baumwollplayer“. Von den jährlich rund 25 Millionen erzeugten Tonnen geht ein großer Teil in die Produktion von Kleidung wie Unterwäsche, T-Shirts und Pullover. Auch Sofabezüge, Vorhänge und Teppiche werden aus Baumwolle hergestellt; außerdem steckt sie in technischen Textilien wie Tisch- und Bettwäsche von Hotels, Bandagen für den Einsatz in Krankenhäusern oder in Reinigungstüchern.
2020 dominierte auch in der sehr global aufgestellten Branche vor allem ein Thema: Corona. „Weltweit leben etwa 150 Millionen Menschen von Baumwolle – von der Saatforschung über den Anbau bis hin zur Verarbeitung“, sagt Stephanie Silber, Geschäftsführerin des Baumwollhandelsunternehmens Otto Stadtlander und seit Juni 2020 ehrenamtliche Präsidentin der Bremer Baumwollbörse. Vor allem die von Land zu Land unterschiedlich starken Shut- und Lockdowns trafen die weltweiten Logistiknetze der Baumwolle empfindlich. In geschlossenen Häfen stapelten sich die Frachtcontainer mit Ballenware, die in Folge nicht an Spinnereien, Webereien und Konfektionäre zur Weiterverarbeitung geliefert wurde. Und im Mode-Einzelhandel türmte sich die Ware, weil die Kunden nicht wie gewohnt durch die Innenstädte flanieren und shoppen konnten.
Baumwolle funktioniert virtuell nicht
„Es war ein Jahr mit ungewohnten Herausforderungen“, sagt Silber. Aufgrund pandemiebedingter Absatzsorgen seien viele Aufträge storniert worden. Auch die International Cotton Conference, zu der sich alle zwei Jahre über 600 Branchenvertreterinnen und -vertreter aus aller Welt in Bremen treffen, „mussten wir im vergangenen März schweren Herzens absagen“. Die Konferenz soll nun im kommenden Frühjahr stattfinden, dann als digitale Veranstaltung. Besonders glücklich ist Präsidentin Silber damit allerdings nicht: „Ich finde das persönliche Zusammenkommen und den Austausch von Angesicht zu Angesicht sehr wichtig.“ Zwar seien die Impfstoff-Meldungen ein Lichtblick, doch die Rückkehr zur Normalität verlaufe schleppend. So seien die Container-Kapazitäten weltweit nach wie vor stark reduziert, was den Transport der Baumwolle erschwere.
Denn Tatsache ist: Ob als Baumwollsamen-Öl in Kosmetikprodukten, als Fasern in Pullovern, Jeans oder Haushaltstüchern – Baumwolle funktioniert nicht virtuell. All ihre Qualitäten, der Tragekomfort, die Hautfreundlichkeit und ihr geringes Allergiepotential, spielt die weiße Pflanze mit der flauschigen Zuckerwatte-Optik in der echten Welt aus. Dabei profitiert die Naturfaser offenbar auch von den Megatrends der letzten Jahre wie Nachhaltigkeit und dem Wunsch nach Bio-Kleidung, Stichwort: Lieblingsstück statt Fast Fashion. „Baumwolle ist zwar Jahrtausende alt, aber sie ist nach wie vor absolut zeitgemäß“, sagt Baumwollbörse-Präsidentin Silber. Zwar gebe es noch keine genauen Zahlen, doch branchenintern spüre man, dass der Zeitgeist-Trends der Faser entgegenliefen. Unter anderem steige die Nachfrage nach Bio-Baumwolle. Fun Fact: Wer beim Shoppen Kleidung aus Baumwolle bar bezahlt, handelt Baumwolle gegen Baumwolle: Vom Zwanziger bis zum 200-Euro-Schein – überall steckt die Naturfaser drin.
Wüstenpflanze mit gutem Wasserhaushalt
Doch die traditionelle Kulturpflanze aus der Familie der Malvengewächse steht auch in der Kritik. Immer wieder wird ihr zu hoher Wasserverbrauch beim Anbau beklagt. Nach manchen Quellen benötigt man für ein Kilo Baumwolle über 20 000 Tausend Liter Wasser. „Das ist ziemlich übertrieben“, sagt Silber. Sie weist darauf hin, dass es sich bei Baumwolle um eine Wüstenpflanze handelt, die es gewohnt sei, mit wenig Wasser auszukommen. „Je mehr sie aber bekommt, desto mehr Fasern produziert sie.“ Laut Silber liegt der tatsächliche durchschnittliche Verbrauch pro Kilo Baumwolle bei 1214 Litern. Länder wie Israel gingen die Bewässerung inzwischen gar mit Hightech an: „Satelliten überwachen dort den Wasserverbrauch der Pflanzen; bewässert wird je nach Bedarf gezielt und tröpfchenweise direkt an der Wurzel“, erläutert Silber.
Erste Frau an der Spitze der Baumwollbörse
Dass sie die erste Frau an der Spitze des fast 150 Jahre alten Traditionshauses ist, habe für sie trotz der Debatten rund um die Frauenquote zunächst keine Rolle gespielt. Doch seit ihrer Wahl sei sie immer wieder darauf angesprochen worden. Vor allem auch im Kontext dessen, dass in textilen Spitzenpositionen und Gremien deutlich weniger Frauen als Männer anzutreffen seien. „Ich möchte weniger als erste Präsidentin der Bremer Baumwollbörse in Erinnerung bleiben, denn als jemand, der seine Arbeit gut macht“, sagt Silber über die mit ihrer Wahl verbundene Außenwirkung. Doch die vermehrten Nachfragen hätten ihr gezeigt, dass sie auch in einer Vorbildfunktion wahrgenommen werde. „Es freut mich natürlich, wenn andere darin auch eine Ermutigung für ihren eigenen Lebensweg und für künftige berufliche Entscheidungen sehen.“ +++
„Baumwolle funktioniert virtuell nicht“ – gut gesagt!