Dunst gegen Durst
Krasse Temperaturen und knöcherne Trockenheit – der Sommer 2018 in Europa war heftig. Doch es gibt Länder, da ist Dürre normal. Marokko zum Beispiel. Inzwischen ist es dort wegen des Klimawandels jedoch so heiß und trocken, dass das wenige Wasser knapp wird. Textilnetze „ernten“ deshalb nun Trinkwasser aus Nebel.
„Hier hat es seit einem Jahr nicht geregnet“, sagt Peter Trautwein von der Münchner Aqualonis GmbH über die Gegend rund um die südmarokkanische Hafenstadt Sidi Ifni. Die Menschen dort sind sehr heiße, trockene Sommer gewohnt. Doch der Klimawandel hat zunehmend seine Finger – besser: Krallen – im Spiel. Die Folgen: Langanhaltende Trockenperioden mit bis zu 50 Grad Celsius, heftige Unwetter und ein lebensbedrohlicher Mangel an Wasser. „Für ein Land, das zu einem sehr großen Teil von der Landwirtschaft lebt, ist das verheerend“, sagt Trautwein. Auch die demografische Entwicklung drückt auf die Wasservorräte: Seit 1961 hat sich die Bevölkerung von 12,7 auf 35,7 Millionen Menschen nahezu verdreifacht.
Trinkwasser für über tausend Menschen
Besonders dramatisch ist die Lage in entlegenen Bergregionen. Brunnen sind dort oft kilometerweite Fußmärsche entfernt; Wasser von mobilen Trucks ist teuer. So auch im Gebiet rund um den Mount Boutmezguida. Deshalb errichtet Trautwein als Entwicklungsleiter der „WasserStiftung“ derzeit mit Projektpartnern vor Ort einen textilen Nebelkollektorpark. Die an Volleyballnetze erinnernden „Cloudfisher“ mit feinen Faserstrukturen sollen frisches Wasser aus den Nebelschwaden fangen, die vom Meer herüberziehen. Das so gewonnene Wasser tropft in Auffangrinnen und fließt in Zisternen. Die „Ernte“ aus den schwebenden Wolkenquellen soll künftig rund 1 150 Menschen aus 15 Dörfern mit bis zu 30 Liter Wasser pro Person und Tag versorgen. Was viel klingt, ist zugleich wenig: Viel, weil die Menschen vor Ort bisher mit acht Litern täglich auskommen müssen; wenig, wenn man weiß, dass der Pro-Kopf-Wasserverbrauch allein in Deutschland etwa 122 Liter am Tag beträgt.

Trinkwasser aus Nebel: Vor allem Kindern wie Hisham Hamou Ali (roter Pulli) kommt das aus den schwebenden Wolkenquellen „geerntete“ Wasser zugute
Kopfstand-Krabbler als Vorbild
Das Prinzip der textilen Nebelfänger stammt aus der Natur. Vorbild ist der Nebeltrinker-Käfer aus der Wüste Namib (übersetzt: „Ort, wo nichts ist“), der mit 80 Millionen Jahren ältesten Wüste der Welt. Um bei Temperaturschwankungen von bis zu 70 Grad Celsius zu überleben, fischt der auch „Kopfstand-Käfer“ genannte Krabbler aus Nebel feinste Aerosoltröpfchen, die ihm dank der hügeligen Mikrostruktur seines Rückens direkt in den Mund fließen. Ab Oktober zapfen nach diesem Prinzip insgesamt 31 Textil-Kollektoren mit einer Gesamtfläche von rund 1 700 Quadratmetern (etwa die Größe zweier Handballfelder) Wasser aus dem vorüberziehenden Nebel. „Schon im März haben die ersten 15 Kollektoren pro Nebelereignis 41 000 Liter Trinkwasser nach WHO-Standard geliefert“, sagt Trautwein. Es sei so viel gewesen, dass die Zisternen übergelaufen seien; deshalb bauten die Projektpartner derzeit zwei weitere.

Tropfen für Tropfen Leben: In der Nahaufnahme sind die feinen Wassertröpfchen entlang der Kunststofffaserverästelung gut zu erkennen
Wasser = Leben
Der Nebelkollektorpark konnte aufgebaut werden, weil das Bundesentwicklungsministerium 500.000 Euro Fördermittel dazu gab; auch die Münchener Rück Stiftung und der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfaches finanzierten mit. „Uns liegen Anfragen für Nebelfänger aus Tansania, Iran und Südafrika auf dem Tisch, doch alles muss finanzierbar sein“, sagt Trautwein. „Wir freuen wir uns deshalb über jede Spende.“ Noch immer haben laut Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) und Weltgesundheitsorganisation (WHO) weltweit über 600 Millionen Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser.
Hier und hier gibt es weitere Informationen zum Cloudfisher und zu Textil-Nebelfänger-Projekten.
Bilder: Peter Trautwein/WasserStiftung/Aqualonis