Drunter und drüber 2.0

Die Forschung ist sich uneins darüber, seit wann der Mensch (oder einer seiner modebewussten Vorfahren) regelmäßig Kleidung trägt – mal ist die Rede von 75.000, mal von 650.000 Jahren. Fest steht: Es ist eine Weile her, dass Stoffe als Ober- und Unterbekleidung über den menschlichen Körper gestreift wurden. Zunächst noch rein funktional zum Schutz vor Umwelteinflüssen, zerfließen nicht erst in postmodernen Zeiten die Grenzen zwischen Ästhetik und Funktionalität: Kleidung hält warm, klar, aber sie muss auch abgrenzen, dazugehören lassen, cool aussehen – oder, wenn der Blick in die Fußgängerzonen geht, zumindest dafür gehalten werden. Immer weitere Mode-Gipfel werden gestürmt, aktuell drängen gar Textilien mit aktivem Leuchteffekt auf den Markt. Insider sprechen von einem „Meilenstein“. Aber warum?

Es war bereits zu Beginn dieses Jahrtausends, dass mit MP3-Playern und aktiver Leuchtwirkung – statt passiver wie beispielsweise bei angestrahlten Pailletten – versehene Bekleidung die Themen Ästhetik und Funktionalität/Technik radikal verkuppeln wollte. Medien titelten entweder „Intelligenter Schnickschnack“ oder „Textilien mit Köpfchen“, Konsumenten waren wie elektrisiert und zum Kauf bereit, die Textilbranche ließ die Korken knallen – und wachte mit einem bösen Kater auf. Denn als in all dem Drunter und Drüber Produzenten an die Pforte klopften, um die „Smart Textiles“ in großen Stückzahlen auf den Markt zu werfen, stellten sich Fragen zu deren Praxistauglichkeit, speziell bezüglich Wasch- und Formbarkeit. Das Problem: Viele der intelligenten Kleidungsstücke kamen nie über einen Prototypen- oder Musterstatus hinaus, waren dem Markt etwa so nah wie der Mammut-Mantel eines Höhlenmenschen dem Laufsteg der Pariser Modewoche. Also folgte auf den Hype ein Jahrzehnt des Wundenleckens – und der intensiven Forschung an den funktionaltextilen Kinderkrankheiten. Die Pubertät scheint inzwischen überwunden: Geerdet und mit realistischer Erwartungshaltung, wird derzeit fast unmerklich die Ära 2.0 der „Wearable Electronics“ eingeläutet: waschbar, formbar und marktbereit.

Leuchtkorsagen wie diese können bald im heimischen Kleiderschrank hängen. Quelle: Forster Rohner

Leuchtkorsagen wie diese können bald im heimischen Kleiderschrank hängen. Quelle: Forster Rohner

So hat etwa das österreichische Unternehmen Utope in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer IZM in Berlin an der Schnittstelle zwischen Mode und Technologie ein dehnbares elektronisches System entwickelt, das in textile Produkte integriert werden kann. Eines der ersten darauf basierenden Produkte am Markt: eine mit LEDs und Sensoren ausgestattete Sportjacke (s. Foto oben), die die Sichtbarkeit im Dunkeln verbessern soll und bereits den Designpreis Red Dot „Best of the Best“ einheimste. In der Schweiz arbeitet die Firma Forster Rohner Textile Innovations an der Symbiose von Textil und Technik. Ihre ebenfalls mit LEDs versehene Korsage soll als aktiv leuchtende, hochwertige Damenunterwäsche nicht nur männlichen Elektroingenieuren die Augen übergehen lassen. Die eigens zur Vereinigung von Licht und Textilien entwickelte e-broidery®-Technologie bildet zudem die Grundlage für aktiv leuchtende Vorhänge, Lampen mit dezentralem Leuchtkörper und Teile der aktuellen Herbst-/Winterkollektion des Modelabels AKRIS (Abendkleider mit Sternenhimmel).

Quelle oben: Utope

Ronny Eckert

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