Die geflochtene Fahrradspeiche
Fahrradspeichen werden üblicherweise aus rostfreiem Stahl, Aluminium oder Titan gefertigt. Eine Firma aus Chemnitz radelt dagegen den textilen Weg – und flicht ultraleichte Speichen aus Polyesterfasern.
Kaum ein Radweg, auf dem nicht Carbon-Fahrräder an einem vorbeisausen. Im Profi-Radsport ist der Faserverbundwerkstoff wegen seiner robusten Federleichtigkeit inzwischen sogar fast allen Werkstoffen davongefahren. Motto: Nur ein eingespartes Gramm ist ein gutes Gramm.
Doch der fachmännische Blick von Ingenieur Ingo Berbig richtete sich bei den Profirädern immer wieder argwöhnisch auf die Speichen, denn die sind oftmals noch aus Metall. Berbig hat deshalb als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Chemnitz mit Kollegen ab 2013 die Idee einer superleichten, aus Polyesterfasern geflochtenen Fahrradspeiche vorangetrieben.

Achtung, Faserspeichen kreuzen: Bis zu 32 Stück passen auf einen Radsatz (Quelle: Pi Rope)
Leichter als ein Würfel Zucker
Die wiegt mit 2,2 Gramm nicht nur weniger als ein Würfel Zucker, sondern vor allem deutlich weniger als ihr Pendant aus Stahl (4-6 Gramm). Dennoch soll sie einer Krafteinwirkung bis zu etwa 6 000 Newton widerstehen können, ohne zu reißen. Stahlspeichen hingegen ändern ihr Verhalten bereits bei 2 500 bis 3 000 Newton – und können gar brechen. Ein Flechtspeichenbruch indes soll selbst bei extremer Belastung nahezu unmöglich sein, versichern die Entwickler.
Weil die Faserspeiche exzellente Testergebnisse erzielte und bei Kennern gut ankam, radelte Berbig dem Wissenschaftsbetrieb im Jahr 2017 davon, um das Unternehmen Pi Rope zu gründen und die textile Speiche auf den Markt zu bringen. „Die Serienreife haben wir dieses Jahr erreicht“, sagt Berbig, der seit fast 30 Jahren – erst als Rennfahrer, dann als Trainer – im Radsport aktiv ist.

Kommt nach dem textilen Fahrradschloss und der geflochtenen Speiche bald das Textil-Fahrrad? Zumindest als Kunstwerk hängt es schon vor der Berliner „ufaFabrik“ (ohne Quelle)
Textiler Aha-Effekt als Türöffner
Die hochfesten Polyesterfasern für die Speichen liefert das japanische Unternehmen Kuraray, mit weltweit 8 300 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von rund 3,2 Milliarden Euro einer der größten Anbieter von Polymeren und synthetischen Mikrofasern. Über 7 000 Einzelfasern bzw. 24 Garne flechten Berbig und sein Team zu einer Fahrradspeiche, von denen sie derzeit 300 bis 600 Stück pro Woche produzieren – und künftig sollen es noch mehr werden.
Dabei war es gerade in der Gründungsphase nicht einfach mit dem Material Textil: „Wenn man etablierte Materialien überrunden will, braucht man Durchsetzungswillen“, sagt Berbig, der nach eigenen Worten zunächst als Exot wahrgenommen „und auch so behandelt“ worden sei. Allerdings: Der „textile Aha-Effekt“ habe auch Türen geöffnet.
Titelbild: Quelle Pi Rope