Autoreifen aus Nadelbäumen

Es gibt wohl nicht allzu viele Menschen, die beim Anblick der vom Küstenwind ergriffenen Kiefern zu dem Schluss kämen, dass deren Holz in Form von Garnen zur Verstärkung der Reifen PS-starker Autos genutzt werden kann. Das könnte sich nach Lektüre dieses Beitrags ändern.

Das Dutzende Quadratmeter große Kiefernbaum-Entspannungsmotiv hängt natürlich vor allem als gigantischer (Seeeufz-)Eyecatcher zum Anlocken von Messebesuchern am Stand von Cordenka, dem weltweit führenden Hersteller von industriellem Viskosegarn aus Obernburg in Bayern, macht aber auch abseits von Urlaubsgefühlen Sinn. Denn das Unternehmen stellt aus Zellstoff, zu dem Bäume – in diesem Fall Kiefern – verarbeitet werden können, durch Zugabe bestimmter Chemikalien eine ziemlich zähe Flüssigkeit her: die sogenannte Viskose. Außerhalb der Textilindustrie kennt sie der findige Leser von Hygieneprodukten wie Wattestäbchen oder Feuchttüchern, von Tee- und aus Geldbeuteln, denn auch Banknoten werden aus ihr hergestellt.

Rechts der Ausgangsrohstoff, links das Endprodukt, oben die Füße von Ralf Stöver, unten die des Autors

Rechts der Ausgangsrohstoff, links das Endprodukt, oben die Füße von Ralf Stöver, unten die des Autors

Die zähflüssige – sprich: viskose – Masse wird vor ihrem verstärkenden Einsatz in Autoreifen durch Spinnpumpen gepresst, die optisch einem Duschkopf ähneln und mit bis zu 1.350 Mikromillimeter großen Löchern versehen sind, an deren Ende viele kleine erstarrte Viskosefäden herauskommen. Diese werden gereinigt, hübsch auf Spulen aufgewickelt und können im Anschluss beispielsweise zu Kordgarn weiterverarbeitet werden, aus dem wiederum Gewebe entstehen, die – Trommelwirbel – letztlich in den Reifen flink flitzender Automobile Verwendung finden. Hier wird zweierlei deutlich: 1. Die Prozesskette zur Herstellung textiler Produkte ist technisch hochkomplex. 2. Da braucht es ab und an einen Entspannungsblick auf schwankende Nadelbäume. Doch warum das Holz von Kiefern?

„Unsere Rayon-Garne, so wird Viskose international bezeichnet, aus Kiefernholz werden von nahezu allen namhaften Autoreifenherstellern auf der ganzen Welt vor allem zur Herstellung von Reifen für schnelle Autos verwendet“, erklärt uns Ralf Stöver, zuständig für Verkaufsinnendienst und -planung, am Cordenka-Stand. „Das liegt an der sehr guten Stabilität der Viskose auch bei hohen Temperaturen, also hohen Geschwindigkeiten, was zu einer stark verbesserten Belastbarkeit und Formstabilität der Reifen führt“, so Stöver. Erkennbar seien „Viskosereifen“ übrigens für jedermann an dem außen gut sichtbaren Hinweis „Rayon“.

Auf die Frage, ob die Produktion von Autoreifen aus so schönen Kiefern nicht kritisierbar sei, weist uns Stöver darauf hin, das Cordenka auf Bäume von industriell bewirtschafteten Plantagen in Florida zurückgreife, bei denen nach jeder Entnahme eines Baumes – nach etwa sechs Jahren – sogleich ein neuer gepflanzt werde. Das Entspannungsmotiv solle zudem deutlich machen, dass auch aus einem nachwachsenden Rohstoff High-Tech-Garne – rund 30.000 Tonnen Viskosegarne vertreibt Cordenka jährlich – hergestellt werden können. Bisher wird dafür vermehrt auf fossile Rohstoffe wie Erdöl zurückgegriffen.

Ronny Eckert

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