Altes Rom, neues Rottweil
Noch gibt es keinen Anbieter für Reisen an jene Stätten und Monumente, die weltweit das textile Bauen vorangebracht haben – allesamt architektonische Kathedralen ihrer Zeit:
Das am Ende des 1. Jahrhunderts n. Ch. errichtete Kolosseum in Rom mit seinen einst 240 Masten, die das Velarium genannte größte textile Abschattungssystem der Antike statisch ermöglichte, gehört dazu. Aber eben auch der knapp 2 000 Jahre später am Rande von Rottweil (in Baden-Württemberg) errichtete ThyssenKrupp-Testturm für die Aufzüge der Zukunft. Seine architektonische Besonderheit: Der 246 Meter hohe Fallturm wurde in eine äußerst filigran wirkende Fassade aus PTFE-Glasfasergewebe gehüllt – eine architektonische und ingenieurtechnische Meisterleistung.
Die weiteren Reisestationen entlang der spannenden Geschichte des textilen Bauens haben allesamt einen gemeinsamen Nenner: Sie wurden mit deutlichem „(created or) made in Germany“-Input in Szene gesetzt – sei es durch Architektur- und Planungsbüros in Deutschland oder hiesige Textilhersteller:
Zu nennen wäre die Dachlandschaft des Münchner Olympiaparks von 1972, bestehend aus Seilnetzen und Acrylplatten; der internationale Flughafen von Bangkok mit seinem 561 x 210 Meter großen Lamellendach sowie das Expo-Gebäude in Shanghai mit einem 65 000 Quadratmeter großen Membranhimmel. Nicht zu vergessen das dem Burj al Arab-Hotel in Dubai vorgesetzte riesige Hightech-Membransegel, hergestellt vom langjährigen Techtextil-Aussteller VERSEIDAG AG aus Krefeld. Von dort müsste die Reise zum Bosporus an die mit Textilbeton verplankten Pylone der neuen Europa-Asien-Brücke gehen, dann nach Albstadt zur weltersten Carbonfaserbeton-Fußgängerbrücke (beide unter Mitwirkung des Herstellers von Textilbeton-Bewehrungen, solidian GmbH) und schließlich nach Sachsen, wo bereits in den 1970er-Jahren erste Experimente mit Geotextilien an einem Bahndamm vorgenommen wurden. Apropos Sachsen: Hier laufen gerade die Planungen für die allererste Textilbeton-Straßenbrücke und das erste Carbonbeton-Gebäude namens „CUBE“ (siehe Titelbild).
Auch die kommende Techtextil wird mit ihrem Schwerpunkt Buildtech etliche neue Facetten des textilen Bauens präsentieren. Zum Beispiel eine doppelgekrümmte Textilbetonfassade: Die Gemeinschaftsentwicklung CurveTex von Penn Textile Solutions und Stanecker Betonfertigteilwerk (beide Paderborn) sowie dem Institut für Textiltechnik an der RWTH Aachen gibt Architekten viel Freiraum bei der Gestaltung. Die neue Leichtbau-Designfassade mit textiler Bewehrung – statt Baustahl – ist nur drei Zentimeter dick und wiegt deshalb nur 80 statt üblicherweise 270 kg. Eine Demonstrator-Fassade steht bereits.

Welterste doppelgekrümmte Betontextil-Fassade in Paderborn (Foto: Stanecker)
Ettlin Smart Materials aus Ettlingen seinerseits stellt in Frankfurt ein leichtes wie dünnes Architekturgewebe u. a. zur Abschattung vor, dessen vier Haupteigenschaften so noch nie in einem Material vereint werden konnten: wasserabweisend, luftdurchlässig, UV-beständig und transparent. Das zusammen mit dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) entwickelte Beschattungs- und Bewitterungsgewebe TransProof® empfiehlt sich als transparenter Wetter- und Sonnenschutz ebenso wie für Zelte und Überdachungen. Nach Worten von FuE-Leiter Richard Müller lag die besondere Herausforderung in der Entwicklung der inzwischen patentierten Beschichtung des Klima-Gewebes.
Text: Hans Werner Oertel
Titelbild: Visualisierung: Iurii Vakaliuk, TU Dresden